Montag, 28. Dezember 2009

Berlin bleibt hart 2005 in Hamburg

Der Sound bildungsferner Schichten.


Dienstag Abend war es endlich soweit, die Protagonisten der neuen, noch härteren Härte, selbstredend aus Berlin, Automatikk, King Orgsamus One & Godsilla, Frauenarzt & Mr. Long sowie der neuerdings auf einem Majorlabel gesignte Bass Sultan Hengzt, gaben sich im Grünspan die Ehre.


Die bisher mit stark schwankendem Erfolg verlaufende Tournee der Berliner, in Dresden erschienen 645 zahlende Zuschauer, beim Heimspiel in Berlin dagegen keine 200 sollte auch in Hamburg eher vor Insidern stattfinden.

Wenig hilfreich war eine Ankündigung in den sog. seriösen Tageszeitungen das in der beworbenen Location Grünspan zeitgleich ein Auftritt der Rockabilly-Sascha-Songs-Interpretier-Combo Boppin B’ stattfinden sollte, was die eh’ tageslichtscheue Klientel der Underground Heroen wohl auch mehrheitlich dazu verleitete im heimischen Crib zu chillen.

Den Anfang machen die Newcomer „Automatikk“ bestehend aus Atillah 78 und Rokko 81, die sofort die Richtung des Abends vorgeben: „immer voll auf die Zwölf und keine Gefangenen“. Die beiden sprühen vor Ambititon und Ehrgeiz und representen die Tracks ihres Debüts „Des Killatape Vol.1“ mit entsprechender Verve und man muss es ihnen lassen. Sie rocken das Haus und die wohlwollend geschätzten 150 Gangster im Publikum flippen dementsprechend schon mal aus. Besonders hervorzuheben aus ihrem reichhaltigen Repertoire an Schmähungen und Ansagen in Richtung der Bitches und Wack Mcs sind die potentiellen Gassenhauer „Mach Platz Spast“ und „Du hast keine Eier“, beide über ausgeliehene US-Beats dargeboten.


Nach knapp 30 Minuten räumen die beiden die Bühne für einen der vielseitigsten Entrepreneure des Rapbusiness neuerer Prägung: der ambitionierte Heimvideoregisseur King Orgasmus One entert mit seinem Sidekick Godsilla das Rampenlicht.

Orgi 69, wie er von seinen Fans liebevoll genannt wird, hat die Ausstrahlung eines armenischen Hütchenspielers und sieht aus wie der dritte Klitschkobruder. Ausserdem befindet er sich im Besitz der unfassbarsten Sonnenbrille aller Zeiten, übel meinende Gesellen behaupten, er habe sie als Zugabe zum Flowbee in einem der vielen Teleshops erhalten, aber ihm steht sie hervorragend und er trägt sie mit einigem Stolz. Godsilla ist da schon konventioneller gekleidet, zusammen liefern die beiden aber eine professionelle Show und stellen ihren neuesten Geniestreich (obwohl da die Meinungen stark variieren) „Schmutzige Euros“ vor.

Tracks wie „Berlin bleibt hart 2“, „Alle Männer sind gleich“ und „Steh dein Mann“ werden von der Menge enthusiastisch aufgenommen. Orgi versäumt es auch nicht ausgiebig auf seine beiden laufenden DVD-Reihen „Orgipörnchen“ und „Orgi on Tour“ hinzuweisen und die erstaunlich zahlreich im Publikum vertretenen Bitches (also Mädchen) zum Casting für weitere Segmente zu ermuntern. Ein Angebot, das von diesen auch gerne wahrgenommen wird, einige waren wohl nur zu diesem Zweck erschienen, dieser Rückschluß stellt sich zumindestens aus den von ihnen getragenen Klamotten und der sich entwickelnden Schlange vor dem Produktionsbüro.


Nach seinem ebenfalls knapp 30 minütigen Auftritt mischt sich der Orgasmus King unter das Publikum. Lässt sich Biere ausgeben und signt alles was man ihm herreicht, so auch die CD des Rezensenten.


Dritte im Bunde sind die Miami-Bass-Experten Frauenarzt und Mr. Long, nach Angaben des sehr freundlichen Tourmanagers, die deutschen „Two Live Crew“ und absoluten Mic Wrecka beim Auftritt in Dresden.

Der Bass pumpt extrem, die Beats sind sehr clever, so verhackstücken die beiden unter anderem „Tainted Love“ und „(Must be) looking for an Angel“. Ihre Texte werfen die Emanzipationsbewegung zwar um mehrere Jahrzehnte zurück, der Stimmung im Saal sind sie aber sehr zuträglich. Der örtliche Veranstalter, Ulli von Hi-life, outet sich auch spontan als Fan der beiden und überzeugt den Autoren sich eine CD der Verbalakrobaten zuzulegen.

Der Miami Bass pumpt, die Crowd tanzt und die Stimmung steigt ins Unermessliche, die Texte die sich zwar immer wieder um das Eine drehen sind mit der Zeit zwar ermüdend, aber Mr. Long ist ein fast schon professioneller Entertainer und hält den Karren am Laufen um so auf den vermeintlichen Höhepunkt des Abends Bass Sultan Hengzt vorzubereiten.


Hengzt, der auf Bushidos letztem Album einen 16-Zeiler zum Highlight „Gangbang“ beitrug und kurze Zeit später auf dessen Label „ersguterjunge“ landete, ist vor Ort um sein Epos „Rap braucht immer noch kein Abitur“ zu promoten.

Unterstützt wir er live von Automatikk, aber irgendwie will der Funke nicht überspringen, die Raps sind kaum zu verstehen, der Sound ist einfach schlecht abgemischt, ein Novum am heutigen Abend. Lyrisch ist der Bass Sultan der variantenreichste an diesem Abend und Styles hat er auch am meisten zu bieten, aber gerade damit scheint er sein Publikum zu überfordern und so hält sich die Begeisterung in ganz engen Grenzen, da können auch ein paar herzhafte Disse in Richtung Samy Deluxe und seiner Combo Headliners wenig ausrichten. Der Hengzt und sein Publikum finden heute nicht mehr richtig zusammen.


Alles in Allem ein aufschlussreicher Abend. Positiv zu sehen ist, dass einige junge Menschen von der Straße wegkommen und ihr eigenes Geld legal verdienen, auch textlich werden sie sich hoffentlich weiter entwickeln und ein paar anderen Einflüssen Raum bieten. Entertainer sind sie alle schon, da sie eine Crowd blendend unterhalten können. Mit etwas mehr textlichem Wagemut in Richtung Mainstream könnten sich daraus ein paar schöne Karrieren entwickeln.


Über das negative hüllen wir den Mantel des Schweigens, denn ganz ehrlich, die Kameraden sind noch jung und brauchen das Geld (um das Feindbild dieser Spielart der Rap-Szene Eko Fresh zu zitieren).


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